Dienstag, 21. August 2007

Schluss mit der Scham

Der Präsident und ich haben etwas gemeinsam. Es hat lange gedauert, bis ich das herausgefunden habe. Normalerweise schämen wir uns nämlich dafür ein wenig. Weil sich die Anderen gerne lustig über uns machen. Aber jetzt, wo sich sogar der Präsident öffentlich geoutet hat, kann ich es ja auch zugeben: Ich habe Angst vorm Fliegen.

Das war nicht immer so. Es hat sich schleichend in den letzten Jahren entwickelt: Je weniger ich flog, desto stärker wurde das Unbehagen. Geredet habe ich darüber nicht, weil es mir lächerlich vorkam. Jeder kennt ja die Statistiken, jeder weiß, dass Autofahren viel gefährlicher ist.

In Brasilien scheint sich das jetzt geändert zu haben. Nicht die Statistiken – auf den Strassen sind in den letzten Ferien mehr Leute verunglückt als bei allen Flugzeugunfällen des Jahres. Das lag daran, dass viel mehr Autos auf den Strassen unterwegs waren, weil die Leute nicht fliegen wollten. Denn was am Ende zählt, ist ja doch immer die gefühlte Gefahr. Die ist gestiegen, und das hat Vorteile.

Das allgemeine Sicherheitsgefühl kam schon beim Unfall der Gol-Maschine im letzten Jahr ins Wanken. Als jetzt der Airbus der TAM verunglückt ist, war es mit dem Vertrauen endgültig vorbei. Brasilianische Urlaubsreisende fürchten sich so vorm Fliegen, dass der gesamte Nordosten in den Winterferien im Juli kaum Umsatz mit Touristen gemacht hat – weil die Fluggäste aus dem Süden lieber mit dem Auto irgendwo in der Nähe Ferien gemacht haben. Ergebnis siehe oben. Der Präsident fürchtet sich, hat er gesagt, weil seine Dienstmaschine auch ein Airbus ist. Manchmal sieht neuerdings sogar das professionell beruhigende Lächeln der Stewardessen aus, als seien sie unsicher. Und als ich letztens aus Deutschland zurückkam, haben die Passagiere tatsächlich bei der Landung Beifall geklatscht – das habe ich so ungefähr in den 90er Jahren zum letzten Mal gehört. Diesmal wirkten die Leute ehrlich erleichtert.

Dabei steigern Unfälle die Sicherheit in der Luft. Die Maschinen werden öfter und sorgfältiger gewartet, Piloten bekommen Sonderschulungen am Flugsimulator, und im Cockpit gehen sie weniger Risiken ein, als in unfallfreien Zeiten. Seit dem TAM-Unfall hat es diverse Zwischenfälle gegeben. Ein Propeller fing Feuer, weil Treibstoff ausgelaufen war. Aufgrund der Umsicht aller Beteiligten, konnten sämtliche Passagiere aussteigen und sich in Sicherheit bringen, bevor die Maschine in die Luft flog. Ein Pilot weigerte sich, mit einer Maschine zu starten, die er als unsicher einschätzte. Ein anderer Pilot hat nach Bodenberührung auf der Landebahn das Flugzeug wieder in die Höhe gezogen, den entsetzten Passagieren erklärt, es sei alles in Ordnung, noch eine Runde gedreht und dann ganz normal gelandet.

Keine Ahnung, was da los war. Manche munkeln, ein anderes Flugzeug habe im Weg gestanden und um es nicht zu rammen, mußte der Pilot eben wieder in die Luft. Die Infraaero, deren Schuld so ein Getümmel auf der Landebahn wäre, behauptet, der Pilot sei ohne Landeerlaubnis vom Tower in Landeflug gegangen. Eigentlich ist es egal, wer hier wem die Schuld zuschiebt. Tatsache ist: Der Pilot hat - wie seine Kollegen bei den anderen Zwischenfällen auch - die Sache elegant und sicher gelöst.

Und die Passagiere hatten garantiert trotzdem Angst. Ich wette, keiner hat sich deswegen geschämt. Ich schäme mich auch nicht mehr, im Gegenteil. Der Präsident und ich haben jetzt einen echten Vorteil: Wir haben schon so lange geübt, mit der Angst umzugehen, dass wir längst Profi-Angsthasen sind. Deswegen kann ich nahezu unbesorgt übermorgen mit einer TAM-Maschine nach Rio fliegen.

Samstag, 18. August 2007

Kleine Gefallen unter Amigos

Die Polizeigewalt in Brasilien kann sehr schnell und effizient sein. Unter Amigos. Unter Amigos kann es sein, dass die brasilianische Polizei auch mal eher gesetzesferne Aufgaben übernimmt. Wenn einer den richtigen Amigo hat, kann das sogar unter den Augen der Öffentlichkeit passieren.

Fidel Castro hat so einen Amigo. Er telefoniert gerne mal mit seinem brasilianischen Kumpel, ohne große bürokratische Schleifen zu ziehen. Böse Zungen behaupten, Fidel habe kürzlich mit einem solchen Telefonat unter Freunden ein lästiges Problem ganz schnell aus der Welt geschafft.

Es geschah mitten im PAN, den panamerikanischen Spielen in Rio. Diverse kubanische Athleten verschwanden bei den Spielen. Das ist nichts außergewöhnliches: Kubanische Athleten verschwinden gerne mal bei internationalen Wettkämpfen. In Rio tauchten ein Handballer, ein Gymnastik-Trainer und zwei Boxer ab. Der Handballer hatte einen Vertrag mit einem brasilianischen Verein ausgehandelt, stieg in ein Taxi und fuhr nach Sao Paulo, wo er umgehend politisches Asyl beantragte. Das erwies sich im Nachhinein als am klügsten. Der tänzerische Gymnast ist bis heute spurlos verschwunden. Und die beiden Boxer sind das Problem. Oder sie waren das Problem.

Menschenraub. Sagt Fidel. Flucht. Sagt die Presse. Aber die weiß eh nicht viel von der ganzen Sache.

Von hier an müßte eigentlich jedes weitere Wort vorsichtshalber in Anführungszeichen stehen – nichts ist bewiesen, noch beweisbar, denn die Autoritäten schweigen entweder oder verbreiten erstaunliche Versionen. Unbestritten ist: Die beiden Box-Weltmeister verschwanden kurz vor dem offiziellen Wiegen vor den Wettkämpfen. Elf Tage später wurden sie von der brasilianischen Polizei an einem Strand festgenommen, als sie gerade den Sonnenuntergang betrachteten. Weitere drei Tage später bestiegen sie nachts eine von der kubanischen Regierung gecharterte Yacht und tuckerten zurück auf ihre Heimat-Insel.

Normalerweise ist es in Brasilien nicht verboten, den Sonnenuntergang zu betrachten. Die Boxer Guillermo und Erislandy betrachteten den Sonnenuntergang allerdings ohne ihre Reisepässe mit den 90-Tage-Visa zum Aufenthalt in Brasilien - die hatten die Offiziellen von ihrer Delegation fest in Verwahrung. Deswegen waren die Boxer illegal am Strand. Deswegen wurden sie festgenommen. So die Polícia Federal.

Wie sie an ihrem idyllischen Strand gefunden wurden? Ein anonymer Amigo von Castro hatte sie denunziert. Vielleicht war es auch ein anonymer Neider. Das deutsche Unternehmen Arena Box Promotion hatte nämlich bereits auf seiner Website veröffentlicht, dass die beiden kubanischen Profis künftig bei ihm unter Vertrag standen. Gegen harte Euro, versteht sich. Unfaire Bestechung mit West-Moneten, nennt Fidel das. Darf er ruhig so nennen. Ist ja durchaus verständlich, dass der alte Diktator seine Sport-Stars nicht an den Kapitalismus verlieren will. Und erst recht nicht an einen pfiffigen Promoter, der ihm schon einmal drei Klasse-Boxer abgeluchst hatte.

Aber was hat Brasilien damit zu tun? Wenn kubanische Sportler nach Deutschland abwandern wollen?

So viel hat Brasilien damit zu tun, dass die Kubaner sofort inhaftiert wurden und weder Besuch von den Anwälten ihres neuen Chefs, noch von Vertretern des UN-Flüchtlingskommissariats oder anderen internationalen Organisationen bekommen durften. So viel hat Brasilien damit zu tun, dass die beiden in Rekordzeit aus dem Land abgeschoben wurden, bevor Medien, Menschenrechtler oder Politiker etwas dagegen unternehmen konnten.

Freiwillig seien sie gegangen, lautet die offizielle Version. Anwälte hätten sie gar keine sehen wollen. Sie wollten nur so schnell wie möglich nach Kuba zurück, heißt es. Weil der böse deutsche Unternehmer sie mit überreichlich Speis und Trank willenlos gemacht habe, und sie weder einen Vertrag unterschreiben noch nach Hamburg wollten. Das paßt zu Fidels Menschenraub-Theorie. Weniger paßt es zu der Tatsache, dass die beiden Abtrünnigen von dem bösen Unternehmer eine üppige Anzahlung auf ihren Vertrag angenommen hatten und sich damit länger als eine Woche am Strand finanzierten, während ihr neuer Chef sich um ihre Ausreisebewilligungen bemühte. Elf Tage betrunken und willenlos? Zur Abreise ins Boxermekka Hamburg reichte die Zeit trotzdem nicht - weil in Brasilien plötzlich alles so effizient und schnell ging.

Jetzt sind die Flüchtlinge wieder zuhause. Sagt jedenfalls der kubanische Botschafter. Bei ihren Familien und frei wie die Vögel, sagt er. Sie dürfen sogar Interviews geben, sagt er. Wie kürzlich im kubanischen TV, wo sie ihre große Reue beteuerten und betonten, wie froh sie seien, wieder zuhause zu sein. Es wird ihnen kein Prozeß gemacht, sagt der Botschafter.

Fidel sagt: Sie werden übergangsweise in einem Besuchshaus untergebracht werden. Besuchshaus?

Danach, sagt Fidel, werden ihnen ehrenhafte Aufgaben übertragen, die ihren Kenntnissen entsprechen.

Was keiner so direkt sagt: Dafür können sie sich bei Präsident Lula bedanken. Weil der die brasilianische Polizei in den Dienst des kubanischen Diktators gestellt hat. Der Amigo hatte darum gebeten, heisst es in einer Pressenotiz. Aber wer kann das beweisen? Klar ist nur: so schnell und effizient findet die brasilianische Polizei normalerweise nicht mal Kapital-Verbrecher.

Mittwoch, 15. August 2007

Wir sind Weltwunder

Das Schöne am Leben zwischen zwei Welten ist, dass es in beiden Welten Grund zum Feiern gibt. Vor allem nach zwei Monaten Abwesenheit. Auch wenn im Supermarkt erst mal auffällt, dass der Milchpreis in den paar Wochen um mehr als 60 Prozent gestiegen ist. Auch wenn der tropische Dauerregen sich zuhause in mehrere Wände gesogen hat und Kleidung wie Bücher schimmelig riechen. Auch wenn der Wechselkurs sich für Euro-Verdiener häßlich verschoben hat. Alles unwichtiger Kleinkram. Denn wir sind Weltwunder!

Vom Rest der Welt nicht hinreichend gewürdigt, ist der Cristo Redentor in Rio de Janeiro im Juli auf Platz Drei der neuen Weltwunder gelandet. Hier ist das wichtig, fast so wie für die Deutschen das "Wir-sind-Papst-Phänomen". Gleich am nächsten Tag wurden auf dem Corcovado sieben Tausend-Watt-Birnen ausgetauscht, die schon sieben lange Jahre ihren Dienst getan hatten. 50 Prozent heller soll der Christus jetzt in der Nacht erstrahlen. „Glückwunsch Rio!“ hat Präsident Lula ausgerufen, „Glückwunsch Brasilien!“ Jetzt sind wir wer. Präsentieren uns mit dem gigantischen Gruß-Helden stolz neben historischen Bauten wie der chinesischen Mauer und Machu Picchu und sogar vor europäischen Prachtwerken wie dem Eiffelturm und der Alhambra, die in der Wahl der neuen Wunder weit abgeschlagen wurden.

Alle freuen sich. Lula, der Liebhaber aller Rekorde, kann verzeichnen, dass das Land in seiner Regierungszeit ein neues Weltwunder erlangt hat. Bürgermeister und Gouverneur von Rio erhoffen sich einen Imagegewinn, der sich über steigende Tourismuszahlen direkt im BIP des Bundesstaates niederschlagen soll. Die Bewohner Rios durften am Sonntag nach der Wahl endlich umsonst mit der Bahn auf den Christus-Hügel fahren – viele werden ihm dabei zum ersten Mal nahe gekommen sein. Im Massenandrang entdeckte die Polizei auch ein paar illegale Sammeltaxis, selbst ernannte Parkwächter und Touristenführer: Künftig sollen Interessenten sich zu echten Führern ausbilden lassen können – so schafft das Weltwunder womöglich sogar Arbeitsplätze.

Ausserdem hat die Wahl große Hoffnungen geweckt. Zum Beispiel bei der Urenkelin des Erbauers, Bel Noronha, die schon einen Dokumentarfilm über das berühmte Lebenswerk ihres Uropas gedreht hat. „Die Wahl ist ein Zeichen, dass die Brasilianer fähige Menschen sind, dass wir auf unsere Taten stolz sein können. Brasilien macht nicht nur Fehler. Vielleicht ist das jetzt ein Anfang der Anerkennung für unser Volk. Ich war immer der Meinung, dass wir mehr Selbstbewußtsein brauchen“, sagt sie.

Was könnte besser das brasilianische Selbstbewußtsein illustrieren, als die Tatsache, dass die Brasilianer den steinernen Schutzpatron ihrer Lieblingsstadt per Mausklick und Telefonanrufen auf eine Ebene mit dem antiken Petra und dem Taj Mahal gevotet haben? Eine Skulptur mit einem „leeren Ausdruck wie ein Roboter“, wie ein Kommentator feststellt: „Eine Figur, die ganz und gar starr, eingefroren und schematisch“ wirkt. Darauf kommt es nicht an. Sondern auf den Symbolwert. Deswegen haben sich längst unzählige Bürgermeister eine Christuskopie auf ihren Dorfplatz setzen lassen und noch ungezähltere Bürger einen Mini-Christus für den Vorgarten angeschafft. Für das Selbstbewußtsein.

Vielleicht haben den Christus tatsächlich nur die Brasilianer selbst gewählt: 160 Millionen Menschen sind genug, um sich durchzusetzen, sogar bei Weltwundern. Wenn die Brasilianer jetzt noch richtig selbstbewußt werden, dann sind ihnen womöglich bald gar keine Grenzen mehr gesetzt. Gleich noch ein Grund zum Feiern.
 
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